Innerafrikanische Entwicklungsziele statt innerafrikanische Grenzen

Produktionsstrecke bei Golden Exotic Limited (GEL) in Kasunya, Ghana. [Ama Lorenz]

Während des AU-EU-Gipfels hat die EU-Kommission ihre Pläne für die weitere Entwicklungspolitik umrissen. Wie will sie jedoch zukünftig sicherstellen, dass die europäischen Entwicklungsziele nicht vorrangig als Belohnung für Maßnahmen der Migrationskontrolle dienen?

„Mithilfe der EU ist es uns gelungen, eine völlig neue Wertschöpfungsquelle zu entwickeln. Damit können wir sicherstellen, dass mehr als 5.000 Teilnehmer und ihre Familien nicht mehr wie bisher unter Armut leiden, selbstbestimmt produzieren und eine Zukunftsperspektive entwickeln“, sagt D.A. Nii-Noi Adumuah, Vorsteher der ghanaischen Gemeinde Adentan. Dort unterstützt die EU im Zeitraum 2016-2020 eines von insgesamt 37 Projekten in Ghana.

In Adentan setzt die Gemeinde auf die Pilzanzucht – von der Ausbildung über die Schaffung von Arbeitsplätzen, bis hin zum subventionierten Ankauf der produzierten Ware. Mit den 820.000 Euro europäischer Fördermittel sollen Pilze aus Adentan bald in Pizza, Brot oder als Chips in ganz Ghana zu finden sein.

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Die Rechnung geht auf. „Das Interesse an solchen regionalen Angeboten ist groß. Gemeinsam mit den Behörden des Bezirkes Greater Accra entsteht so eine Produktions- und Absatzkette, die eben nicht nur wieder ein Pilotprojekt ist, sondern Strukturen schafft, die langfristig funktionieren können“, sagt Nii-Noi Adumuah. Und vielleicht wird es Pilze aus Adentan auch bald in afrikanischen Nachbarstaaten geben, hofft Nii-Noi Adumuah.

Umso mehr wundert er sich über die Ängste und Pläne in Europa. „Innerhalb der ECOWAS-Staaten haben wir die Möglichkeit, 90 Tage ohne Visa zu bleiben. Viele afrikanische Handelsvertreter nutzen diese Gelegenheit, um Geschäfte abzuschließen. Übrigens auch sehr viele Europäer. Was wir Afrikaner brauchen, sind freie Handelswege für unsere Produkte“. 

Nii-Noi Adumuah ist überzeugt, gibt es Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten in afrikanischen Ländern, werden auch weniger Menschen nach Europa immigrieren. Also warum physische und mentale Grenzen zwischen afrikanischen Ländern schaffen, wenn diese Voraussetzung für eine innerafrikanische Arbeits- und Handelsbewegung sind, fragt sich Nii-Noi Adumuah. 

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„Der Abbau von Ungleichheiten und die verstärkte Mobilisierung inländischer Ressourcen sollten im Mittelpunkt des Europäischen Plans für externe Investitionen (EEIP) stehen,“ findet auch Xavier Sol, Direktor der NGO Counter Balance. „Wenn der externe Investitionsplan wirklich ein innovatives Instrument sein soll, muss er sich auf Qualitätsprojekte konzentrieren, die einen hohen Entwicklungsmehrwert bieten. Ein Fokus auf kleine Projekte mit positiven sozialen und ökologischen Auswirkungen für die lokale Bevölkerung und Territorien ist notwendig.“

Doch noch überfluten europäische Waren lokale Märkte und zerstören sie dadurch. Wenn legal und illegal die Fischbestände vor den Küsten Afrikas durch europäische Schiffe reduziert werden, Giftmüll aus der EU afrikanische Böden verseucht und Europa Rohstoffe importiert statt deren Verarbeitung vor Ort zu fördern, dann bleibt fraglich, wie nachhaltig die europäische Entwicklungspolitik ist.

„Schengen für uns, Zäune für Afrika“

Die taz wird mit ihren Thesen zur Migrationskontrolle noch deutlicher. Demnach fließt europäisches Geld vor allem dorthin, wo Migrationszahlen schnell gesenkt werden können – unter anderem in Länder wie Niger, Eritrea, Sudan oder Mali.

Verlierer sind wie zu Zeiten des Kolonialismus die Afrikaner. Entwicklungspolitische Experten warnen bereits seit langem: Erste Schritte einer innerafrikanischen Marktliberalisierung und Arbeitsmigration, einer gemeinsamen Visaregulierung oder freier Warenverkehr könnten durch die Bemühungen der EU, innerafrikanische Grenzen zu verstärken, ins Leere führen. Sollte es der EU gelingen, die „Festung Europa“ auf dem afrikanischen Kontinent zu errichten, würde die europäische Migrationsabwehr der Entwicklungspolitik in den afrikanischen Staaten einen ordentlichen Seitenhieb verpassen.

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Der Sklavenhandel in Libyen zeigt, dass kurzfristige Lösungen in Migrationsfragen verheerende Auswirkungen für junge Afrikaner haben können, so Marije Balt.

Um so wichtiger sei es, dass der Europäische Plan für externe Investitionen (EEIP) von den europäischen Migrationsstrategien abgekoppelt wird und einen tatsächlichen Entwicklungsbedarf deckt, heißt es im Bericht von Counter Balance.

„Hilfe durch Handel“

„Regionale Integration“ heißt das Zauberwort, das Afrika wirtschaftliche Entwicklung bringen kann. Im Vorfeld des EU-AU-Gipfels hatte das EU-Parlament mit großer Mehrheit eine Entschließung zur Afrikastrategie angenommen. Darin wird gefordert, eine kontinentale Freihandelszone in Afrika zu schaffen und den innerafrikanischen Handel bis 2050 auf 50 % zu steigern. Dazu braucht es wirksame Schutzklauseln, asymmetrische Liberalisierungspläne, den Schutz im Aufbau befindlicher Industriezweige und die Vereinfachung und Transparenz von Zollverfahren.

Schon jetzt ist die EU  einer der größten Geber von Handelshilfe weltweit. Allein 2015 hat sie hierfür eine jährliche Rekordsumme von 13,16 Mrd. Euro bereitgestellt.

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Mit der im November 2017 durch die EU-Kommission vorgelegten „Handelshilfe-Strategie“ sollen die zur Verfügung stehenden Instrumente der Entwicklungsfinanzierung sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene besser verknüpft und koordiniert werden. 

Das würde auch Unternehmen wie Golden Exotic Limited (GEL) in Kasunya zugute kommen, einer der modernsten und innovativsten Bananenplantagen Ghanas. Golden Exotic Limited erhält im Zeitraum 2015-2018 mehr als 7 Mio. Euro im Rahmen der Bananenhilfsmaßnahmen (BAM) – ein europäischer Hilfsfond, der den Handels zwischen Bananen produzierenden Ländern in Afrika, der Karibik und dem Pazifik erleichtern soll.  Mit der finanziellen Unterstützung aus Europa werden dort unter anderem Unterkünfte für die GEL-Mitarbeiter errichtet, damit diese nicht mehr über lange Strecken pendeln müssen. 

GEL ist derzeit der größte Exporteur von Bananen (51.000 Tonnen pro Jahr) in Ghana. Diese Exporte sind hauptsächlich für die europäischen und regionalen Märkte gedacht: Burkina Faso, Mali, Niger und Benin.

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Sechs EU-Abgeordnete des Ausschusses für internationalen Handel sind zurzeit in Westafrika. Sie sollen die Umsetzung der umstrittenen Abkommen zur wirtschaftlichen Partnerschaft (EPAs) kontrollieren.

„Wir blicken mit Sorge auf das von der EU angestrebte Freihandelsabkommen mit lateinamerikanischen Staaten. Sie sind direkte Konkurrenten für den afrikanischen Bananenanbau. Obwohl wir Fairtrade und sämtliche Gütesiegel der EU-Kommission erfüllen, unterliegen unsere Produkte ohnehin schon schärfen Zoll- und Handelsbeschränkungen. Solange es kein Freihandelsabkommen mit Afrika gibt, wäre das Abkommen mit Lateinamerika ein weiterer Wettbewerbsnachteil“, heißt es bei Golden Exotic Limited. Sollten die Handelswege nach Nordafrika durch neue Grenz- und Handelsbestimmungen erschwert werden, wäre das eine zusätzliche Barrikade für den innerafrikanischen Handel.

Europäische Politik kann nur nachhaltig sein, auch im Sinne europäischer Migrationspolitik, wenn sie ressortübergreifend wirkt – europäische Außen-, Entwicklungs-, Handels- und Finanzpolitik müssen strategisch koordiniert werden, so ist man in Ghana überzeugt. Dann würde es in Afrika auch nicht mehr zu einem jährlichen Verlust von etwa 50 Mrd. USD in Form von illegalen Geldflüssen kommen. Eine Summe, die die jährlichen Zuwendungen durch die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bei weitem übersteigt.

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